Musik NewsÄhnliche-BeiträgeKommentiere

Lesedauer: 5 Minuten

Wenn Liebe echt ist, fühlt sie sich auch an Dienstagnachmittagen an wie das größte aller Abenteuer. Dann ist immer Chaos, dann schmeckt jede gemeinsame Zigarette wie die allererste, dann kehren plötzlich auch bei Mittzwanzigern Teenager-Feelings zurück. Auf einmal sind alle neunundneunzig Punkte auf der Wishlist einerlei. Dillas neue Single »Teen« beschreibt genau diesen Zustand: »ich fühl’ mich wie ein Kind, so naiv und durch den Wind«. »Teen« (Video weiter unten zu sehen) ist ein unmittelbar formulierter Liebesbrief an den großen Schwarm — mit Dilla-typischer ironisch-sympathischer Note: »fuck man, du bist genauso planlos wie ich«. Im Song-Inneren verquirlt blumiger Gesang mit unbeschwertem Gitarrenspiel und zackigen Drums. »Teen«, der zweite Vorab-Single aus Dillas Debütalbum »Also bin ich«, klingt wie eine neumodische Kreuzung aus NDW und Nullerjahre-Highschool-Rock.

HIER ANHÖREN oder KAUFEN*
Von Streaming bis Vinyl. Je nach Angebot.

     

Manchmal fühlt es sich so an, als würde Dilla inmitten eines Films leben. Er spielt in einem Aperol-orangenen Universum, ist eine chaotische Kreuzung aus romantischer Coming-of-Age-Komödie und ausgeflipptem Actioner. Der rote Faden, der sich durch den Intro-Teil des Streifens zieht: kesse, fantasiegeladene Vertreterin der Gen-Z — Dilla eben — spaziert leichtfüßig eine schier endlose Avenue entlang. Immer wieder biegt sie kurz ab, feiert hier bis zum Sonnenaufgang, erkennt da Sinn im Banalen und fährt dort ein bisschen Gefühlsachterbahn. Über absurde Umwege landet sie schließlich in der großen Stadt, wo sie unverhofft zur gefeierten Musikerin avanciert. Danach: ein kleiner Zeitsprung, in den Spätsommer 2023. Dilla hat ihre langersehnte Debüt-LP »Also bin ich« fertiggestellt, ihren bisherigen Roadtrip in Songs verewigt. Nicht chronologisch, eher anarchisch, augenzwinkernd und gespickt mit Perspektivwechseln.

Da wäre zum Beispiel »Star«, der frenetische Opener der Platte, der als erste Album-Single das Licht der Welt erblickt hat. Was zunächst klingt wie eine Auseinandersetzung mit dem eigenen (in Dillas Fall tatsächlich täglich steigenden) Bekanntheitsgrad, ist in Wahrheit vielmehr ein halbironischer Appell, den Dilla an sich selbst adressiert. Bloß nicht abheben, sich nicht zu wichtig und vor allem niemals zu ernst nehmen, reflektiert mit den eigenen Privilegien umgehen, eben kein Arschloch sein. Die Protagonistin, aus deren Perspektive »Star« geschrieben ist, spiegelt — ein Glück — keineswegs Dillas wahrhaftige Sicht auf die Dinge, sondern eher eine, Zitat, »durchgedrehte Traumebene«. Im Laufe der zehnteiligen Album-Tracklist entführt Dilla ihrer Hörer*innen mehrmals in derartige Fantasiewelten.

Sie tut das ohne große Vorwarnung, eher beiläufig, zwischen gnadenlos authentischen Liebesliedern à la »Egal (was passiert)« oder »Teen« und autobiografischen Spazierfahrten der Marke »Licht«. Letztgenannter Song kommt ganz ohne doppelten Boden aus, Dilla hat ihn ihrer verstorbenen Oma gewidmet: »ich vermisse wie du lachst und wie deine Augen funkeln«. Irgendwo dazwischen: »Ohne dich«, ein retrospektives Stück, das sich, wie sie bemerkt, »gar nicht mehr besonders persönlich« anfühle. Oder »Mama«, ein Themensong mit Queen-Referenz im Refrain, in dem Dilla die Brille einer rebellierenden Tochter aufsetzt. Aus der Reihe tanzt auf seine Art auch »Allein«, eine Bonnie-und-Clyde-Erzählung, die mit Day-One TimmyT den einzigen Featuregast der Platte enthält.

Mehr zum Beitrag weiter unten …
AngebotBestseller Nr. 1 Dilla Time: The Life and Afterlife of J Dilla, the...

Preis inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten. Letzte Aktualisierung am 17.09.2023/ Affiliate Link* Disclaimer / Bilder per Amazon Product Advertising API über Proxy Server anonymisiert

Bestseller Nr. 2 Also Bin Ich [Vinyl LP]

Preis inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten. Letzte Aktualisierung am 17.09.2023/ Affiliate Link* Disclaimer / Bilder per Amazon Product Advertising API über Proxy Server anonymisiert

Preis inkl. MwSt., zzgl. Versandkosten. Letzte Aktualisierung am 17.09.2023/ Affiliate Link* Disclaimer / Bilder per Amazon Product Advertising API über Proxy Server anonymisiert

Die »Dilla-Show« lebt vom fließenden Wechselspiel zwischen Authentizität, Ironie und Imagination. Oder, um es in den Worten der Protagonistin auszudrücken, vom »träum’ ich jetzt oder bin ich noch in der Realität«-Effekt. Dilla wusste zu Beginn ihrer Reise selbst nicht so genau, ob ihre LP von Träumen oder Realitäten dominieren werden würde. Nicht umsonst hat sie es »Also bin ich« getauft — kein Titel hätte ihre akribische Suche nach der eigenen Rolle im großen Ganzen besser beschreiben können. Denkt man sich diese Wortkette vor die einzelnen Songtitel, ergibt sich ein üppiger Blumenstrauß an Fragen: bin ich »Star«? Bin ich »Philosoph«? Bin ich »Teen«? »Egal«, »Schuld«, »Licht«, »Allein«, (wie meine) »Mama«? Kann und will ich alles gleichzeitig sein? Oder reicht es, wie im Finale der Dramaturgie festgehalten, einfach »Mensch« zu sein? »Eigentlich wäre ich ja schon lieber ein Vogel«, sagt Dilla und muss lachen.

Musikalisch wird »Also bin ich« von Dillas flexibler, ornamentierter, oft mehrspuriger Gesangsperformance und — Vorsicht, das ist neu — Ohrwurm-verursachenden Gitarrenriffs zusammengehalten. Trotz scheppernder NDW-Claps und pulsierenden Synth-Flächen prägen Gesang und E-Gitarre den Sound der Platte zu jeder Zeit federführend. Manchmal balladenartig und betont sanft, wie im Heartbreak-Song »Ohne dich« — dann wieder entschlossen flippig, wie in »Schuld (Du kannst mich mal)«, einem Lied-gewordenen Mittelfinger gegen möchtegernalternative Schnösel. Wenn Dilla erzählt, dass die LP »irgendwie nur wenig mit Dilla-Musik zur Photosynthese-Zeit zu tun« habe, meint sie damit vor allem eins: »Also bin ich« riecht nach Bandmusik. Im Abgleich mit älteren Stücken wie »unter ihrem dress« oder »Mit dir«, die Dilla allein in ihrem WG-Zimmer zusammengeschustert hat, klingen die Album-Songs zwar immer noch genauso verspielt, dabei aber wesentlich instrumentaler und satter. Mit einem Berg bruchstückhafter Skizzen im Gepäck hat sich Dillaim Frühjahr 2023 auf die Suche nach einem Studio-Partner begeben — und mit Dennis Neuer das perfekte Match gefunden. Er hat ihr Produktions-seitig unter die Arme gegriffen, alle Gitarrenriffs eingespielt und »Also bin ich« gemixt. »Dennis hat direkt gecheckt, was ich vorhabe und konnte das mit seinen Skills umsetzten«, erzählt Dilla. Oder, anders formuliert: er hat den Eingangs beschriebenen Dilla-Film, der durch »Also bin ich« zu einem echten Hollywood-Streifen gewachsen ist, verstanden.

Die Vorgeschichte jenes Films? Im Grunde nicht weniger filmreif. Amadea Ackermann wird zur Jahrtausendwende in eine musikaffine Familie geboren — ihr Vorname ist eine Mozart-Referenz. Amadea wächst zweisprachig auf, beginnt im Alter von drei (und damit früher als Wolfgang Amadeus) zu musizieren, ist ein geborenes Bühnenkind. Sie spielt in Bands, lebt zwischenzeitlich in den USA und triff dort in Musicals auf. Danach: ein Jungstudium an der Hochschule für Jazzgesang in München. Parallel dazu macht Amadea eigene Musik, textet zunächst auf Englisch, singt, bringt sich das Produzieren bei, veröffentlicht ab 2018 erste Lieder. Amadeas Dozent rät ihr, nach Berlin zu ziehen und dort ihr Glück als Berufsmusikerin zu versuchen. Gesagt, getan, ab in die Hauptstadt, WG gesucht und emi x gefunden, sie wird Amadeas Mitbewohnerin. Im Sommer 2021 dann, parallel zum Projekt Amadea, die ersten Songs auf Deutsch: eine Kollabo-EP mit TimmyT ist die Geburtsstunde des Projekt Dilla.

Wenige Monate später erscheint mit »Photosynthese« der erste virale Hit. Bald ist Dilla Schubladen-übergreifend in aller Munde, performt Freitags auf Rap-, Samstags auf Indiepop- und Sonntags auf Techno-Festivals. Im Herbst 2022 begleitet sie Kraftklub auf Tour, im Frühjahr 2023 spielt sie ihre erste eigene. Dillas Songkatalog ist auf quantitativer Ebene überschaubar — musikalisch und lyrisch fächert er sich allerdings schon jetzt breiter auf als manche jahrzehntelange Diskografie. Dilla, die ihre Beats lange alleine und zuletzt im Team mit Dennis Neuer produziert hat, beschreibt ihren Sound wahlweise als »Trash Pop« oder »Underground Schlagersound«. Hingebungsvoll wie bescheiden hat sie gleichzeitig einen Schreibstil entwickelt, der im deutschsprachigen Raum einmalig ist. Unverblümt authentisch und unmittelbar, zwischen großen Emotionen und unbefangener Ironie widmet sich Dilla gleichermaßen an intime wie weirde Themen.

Dilla - Teen (Offizielles Musikvideo)

 

Quelle: PUBLIC CREATIONS

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
0 Kommentare
Inline Feedbacks
Alle Kommentare anzeigen