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Drew Sycamore – dieser Name steht für eine der größten Erfolgsgeschichten der letzten zehn Jahre in der dänischen Musikszene. Nun macht sich die Künstlerin bereit, mit ihrem neuen, dritten Album „Superfaith“ nochmals ein paar Schippen draufzulegen. Und wenn es jemals stimmte, dass in der Kürze die Würze liegt, dann mit diesem Werk, das 8 Songs enthält, von denen jeder einzelne mit Hooks zum Niederknien ausgestattet ist – minimalistisch und zugleich kraftvoll, voller unerschütterlichem Optimismus. Oder, um es in Drews Worten zu sagen: Es ist ein Album, das klingt wie „eine illegale Rave-Party mit einem Haufen religiöser Fanatiker auf einem Raumschiff in der Zukunft“. You get the idea.
Drew Sycamore traut sich was, und sie hat allen Grund dazu, denn wenige Künstler:innen erleben jemals in ihrer Karriere einen Durchbruch, wie sie ihn in den jüngsten Jahren erlebte. Sie wurde zum meistgespielten Artist im dänischen Radio des Jahres 2021, brachte die Orange Stage in Roskilde zum Leuchten und sammelte Preise in einer Frequenz ein, als hätte sie beim Dosenwerfen auf dem Jahrmarkt einen Lauf gehabt. Und all das während der verflixten Lockdown-Jahre. Wie macht man von da weiter?
Ganz einfach: indem man einfach weitermacht. „Vorwärts und aufwärts“ scheint das Mantra zu sein. Drew Sycamore entwickelt sich stetig weiter, verändert sich, und lässt die Welt über ihre Songs an diesem Prozess teilhaben. „Superfaith“ ist einerseits eine unbekümmerte und humorvolle Reaktion auf die jüngsten, hektischen Jahre ihres eigenen Lebens, andererseits ist es ihr Geschenk an eine Welt, die ein aufmunterndes Schulterklopfen derzeit gut gebrauchen kann.
„Meine ersten beiden Alben hatten den Fokus ganz klar auf der Gefühlsebene. Für dieses Album wollte ich genau das nicht – es war ein Ausbrechen daraus, mich ständig mit mir selbst beschäftigen zu müssen. Ich liebe meinen Job, aber es geht die ganze Zeit nur um mich, mich, mich. Ich stecke natürlich immer noch voller Gefühle, aber ich hatte dieses Mal große Lust, etwas anderes in die Welt zu setzen. Die Welt ist im Moment ein ziemlich verrückter Ort – Krieg, Klimakrise, all das. Daher verspürte ich den Wunsch, einfach mal ausschließlich Freude und Leichtigkeit in das Leben der Menschen zu bringen. Damit sie zur Abwechslung mal an etwas anderes denken als ihre eigenen Gewichtsprobleme, bessere Noten oder dass sie sich stärker engagieren sollten. Ich wollte kein einziges negatives Wort schreiben, vielmehr sollte dieses Album wie ein Magnet für die großartigsten Gefühle sein.“
Die Songs auf „Superfaith“ sind sexy und sie halten sich nicht unnötig mit tieferen Bedeutungen auf. Sie blicken eher nach außen als nach innen, und sie werden zusammengehalten von minimalistischen Refrains, wie sie auch die R&B-Queens der späten 90er-Jahre in Perfektion beherrschten. Wie schon auf ihren Vorgängeralben zeichnet Drew Sycamore sowohl für Text als auch Melodie verantwortlich, um Produktion und Sound kümmerte sich derweil das Producer-Duo aus Fridolin und Frederik Nordsø. Die Vision der Brüder für das Album: ein pumpender, energiegeladener, humorvoller Sound – leicht drüber, aber auf die gute Weise drüber. Brachte sie beispielsweise ein Bass Fill oder eine Hookline dazu, vor Vergnügen förmlich zu Kichern – behielten sie sie bei. Denn genau dort, im Lachen, steckt nicht selten der erste Funke für Begeisterung.
Textlich spielte Drew mit religiösen Konzepten – die Madonna, das Paradies, Sünde und Erlösung –, indem sie diese aus ihren angestammten Rollen löste und in einen neuen Kontext stellte – siehe die eingangs zitierte illegale Rave-Party mit einem Haufen religiöser Fanatiker auf einem Raumschiff in der Zukunft.

Ein Ergebnis dieser Sessions ist die neue Single „In The Club”. „Everybody’s in the club, but I came here just for you / Everybody’s looking hot, but I only think of you” – textlich drückt der Track in schlichten Worten die Sehnsucht nach einer Person aus, die der Grund ist, weshalb man gerade in diesem Club ist. Ist es eine Einladung zu einer „ménage à trois“? Vielleicht. Höchstwahrscheinlich. Zumindest in dieser Geschichte. Denn das Ganze gipfelt in sinnlichem Stöhnen und einem majestätisch guten Gitarrensolo. Neben der Fleischeslust ist dieser Song zugleich ein Trojanisches Pferd, denn er ist ein unverhohlener Seitenhieb gegen das Patriarchat der christlichen Kirche: „You are here to worship the Mother, the Daughter and the Holy Spirit“, singt sie mit einer Stimme, die jeder Domina gefallen würde.
In „Paradise“ verlassen wir die schummrige Atmosphäre des Clubs und treten ins strahlende Licht, was vor allem dem Riff ihres Co-Songwriters und Gitarristen Lasse Boman zuzuschreiben ist. Es geht zurück auf einen Tag, an dem Drew ins Studio kam und dieses sonnengetränkte Riff auf vollem Anschlag aus den Lautsprechern donnerte. „Was ist hier los? Habt ihr euch ein paar Mojitos gegönnt?”, fragte sich Drew erst – nur um dann festzustellen, dass sich die Melodie quasi wie von selbst schrieb. Für das Songwriting nutzte sie eine Methode, die sie nicht selten zur Anwendung bringt: Sie versetzt sich in die Lage anderer Artists – was würde Prince schreiben? Billie Eilish? Kylie Minogue“. Nicht etwa um sie zu kopieren, sondern um eine bestimmte Energie zu kanalisieren. Im Fall von „Paradise“ dachte sie an Chris Martin, weil dieser die Gabe hat, „einen Ton zu treffen, der hart am Kitsch schrammt, dabei aber zugleich eine große Kraft besitzt“. „Paradise“ ist ein Song, der sich anfühlt, als würde man mit einer großen Liebe auf einer Picknickdecke sitzen und sich wünschen, dieser Moment könnte für immer weitergehen.
„Into Your Arms“ wiederum ruft mit den großen Gefühlen in Lyrics und Darbietung Erinnerungen an die früheren Arbeiten Drew Sycamores hervor. Was passt, denn über einen Timberland-artigen Beat, Streicher und 90er-Klavier thematisiert sie ihre vergangenen Jahre und dabei im Besonderen ihre Ehe, die in den Wirbelwindjahren von null auf Ruhm ein Hort der Stabilität für sie war.
Wenn die Dinge so nahtlos ineinandergreifen und all das obendrein unter einem 10-von-10-Sternen-Albumtitel wie „Superfaith“ (Insider erkennen natürlich die Referenz auf David Bowies „Blackstar“), könnte man meinen, Drew Sycamore denke in großen Konzepten und ausgeklügelten Marketingschachzügen. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist pure Intuition gepaart mit dem unbedingten Drang, sich kreativ zu verwirklichen, der Drew Sycamore dahin gebracht hat, wo sie heute steht: in der ersten Reihe der größten dänischen Popstars.
„Ich denke überhaupt nicht konzeptionell“, bestätigt sie. „Vielmehr ist es so, dass ich etwas mache und dann etwas anderes – und dann binde ich das Ganze zu einem schönen Knoten zusammen. Und dann fange ich die nächste Sache an. Das ist auch der Grund, weshalb das Album jetzt erscheinen muss, anstatt Teil eines langfristig angelegten Plans zu sein. Ich muss meine nächste Pokémon-Entwicklung vorantreiben.“
Quelle: Warner Music