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Als Newcomer einer Neuen Neuen Deutschen Welle blicken Tropen Tropen in ihrer neuen Single “Misanthropie” (Video unten zu sehen) zurück auf die Unbekümmertheit während des deutschen Wirtschaftswunders und die Abholzung der Regenwälder als eine der Quellen unseres heutigen Wohlstands. Ihr Ziel: Der heutigen Tatenlosigkeit angesichts fortschreitender Abholzung den Spiegel vorhalten. Der bildstarke Text des Leipziger-Berliner Trios bestehend aus Simon Müller, Linus Zurmühlen und Oleg Zurmühlen holt uns dabei zunächst in die goldenen 60er und 70er Jahre, eine Zeit der großen Gesten und des unbeschwerten Gewissens, in der sich ohne kritische Fragen oder moralische Zeigefinger Bäume abholzen ließen: “Du sitzt auf Teak und vor Mahagoni / vor uns ein Tee, Porzellan bricht nie”.
“Misanthropie” wurde von Jan-Philipp Janzen (Dumbo Tracks, Die Sterne, Von Spar) gemischt und ist beim Leipziger Indie-Label Schatulle Bömm erschienen. In Zusammenarbeit mit Regisseur Moritz Müller-Preißer, der bereits das Singledebüt “Paola“ verfilmte, präsentieren Tropen Tropen das zugehörige Musikvideo zu “Misanthropie” mit Super-8-Filmmaterial aus privaten Archiven, von denen sich Sänger Oleg Zurmühlen zum Songtext inspirieren ließ.
Getragen von peitschenden 80s-Drums, Samba-Percussions und melancholischen Synth-Flächen schwebt der neue Track “Misanthropie” zunächst ruhig daher, bevor Tropen Tropen schließlich eine Axt in die allgemeine Unbekümmertheit treiben: “Doch du weißt, du verbrennst dich und mich / und die Welt auf Knien”. Angesichts rücksichtslosem Wirtschaften werfen sie Fragen der Schuld auf, die die/den Adressat*in bewusst offenlassen: “Ich verzeih sie dir nie, deine Misanthropie“ singt Oleg Zurmühlen fast aufreizend entspannt im Refrain. Die Single “Misanthropie” zieht dabei klare Referenzen an die Gegenkultur zu den 60er/70er Jahren: die düsteren und kantigen Töne des Postpunk und der Neuen Deutschen Welle der anschließenden Dekade. “Wir wollten einen Song machen, der ambivalent klingt, eine unbeschwerte Tanzbarkeit ebenso tragen kann wie den drastischen Vorwurf der Misanthropie”, sagt Simon Müller.

Die Aufnahmen des Musikvideos (unten zu sehen) nehmen uns mit auf Geschäftsreisen im internationalen Holzhandel. So folgen wir den Protagonist*innen zunächst an die Copacabana, auf den Golfplatz und die Strandliege in Südostasien, bevor wir uns plötzlich im Regenwald wiederfinden: Ungeschönt fängt die Kamera ein, wie sich unter Beobachtung der Protagonist*innen die Äxte der Arbeiter*innen in das rote Fleisch der Urwaldriesen schlagen und sich riesige Schneisen in die Natur reißen. Wenn Oleg Zurmühlen dabei mit distanzlos bebender Stimme von “Kronen zu Boden, Löcher in Lungen“ singt, schält sich die angeklagte Misanthropie heraus: Wer die Lunge der Erde abholzt, sabotiert menschliches Leben.
“Als ich die Bilder der Abholzungen zum ersten Mal sah, war da plötzlich keine emotionale Distanz mehr und die Zeilen ‘Ich verzeih sie dir nie, deine Misanthropie’ sofort da. Sie sollen ein fundamentales Gefühl der Verbundenheit ausdrücken. Überspitzt ausgedrückt, atmen wir ein, was Bäume ausatmen”, erklärt Oleg Zurmühlen.
Doch Tropen Tropen suchen nicht bloß Schuld im Handeln früherer Generationen. So zeigt sich die Band im Musikvideo dem Filmmaterial gegenübersitzend als kompromittierte Zeugen, als bloße Zuschauer. Sie verharren distanziert-gelangweilt in Anbetracht der Bilder der Zerstörung, und spiegeln die Einstellung des Weiter-So: Während heute die Abholzung des Regenwalds schneller voranschreitet denn je, sitzt die deutsche Wohlstandsgesellschaft reglos auf den geerbten Möbeln aus Teak- und Mahagoni. “Wir müssen anfangen, uns mit den Hintergründen unseres Wohlstands in Deutschland auseinanderzusetzen”, sagt Linus Zurmühlen.
Mit dem Musikvideo zur Single “Misanthropie“ wollen Tropen Tropen eine Debatte anregen, die vor dem Hintergrund kolonialer und extraktivistischer Kontinuitäten Fragen der Schuld jenseits von Generationengrenzen verhandelt. Tropen Tropen fragen uns alle und sich selbst: Sind wir Misanthropen? Und können wir uns diese Misanthropie je verzeihen?
Quelle: Better Call Rob